Dienstag, 22. September 2020 / 

Mikrohämaturie

Hatten Sie schon einmal Blut im Urin?

Vermutlich kennen einige von Ihnen das Gefühl, wenn man morgens noch schlaftrunken auf die Toilette geht und plötzlich erschrickt, weil der Urin rötlich gefärbt oder sogar tief blutrot ist. Blut im Urin wird von Medizinern mit dem aus dem altgriechischen stammenden Begriff Hämaturie bezeichnet. Wir haben zu diesem Thema Herrn Dr. Andreas Reihl aus der Nephrologischen Praxis in der Spinnerei interviewt.

Woher kommt das Blut im Urin?

Blut kann aus blutenden Adern (Gefäßen) und Schleimhäuten der Harnwege, sprich der Harnröhre, der Blase, den Harnleitern (Verbindungsschläuchchen zwischen Niere und Blase) und letztlich aus den Nieren stammen. Betrachtet man die Nieren, so kann das Blut wiederum aus dem Nierenbecken oder dem Nierenfilter stammen. 

Stammt es aus dem Nierenfilter, sind wir als Nephrologen gefragt. 

Gesunde Nieren lassen bei der Urinproduktion in den mikroskopisch kleinen Filtereinheiten, wir bezeichnen diese als Glomeruli, normalerweise keine roten Blutkörperchen durch. Das muss so sein, denn durch gesunde Nieren fließen ca. 100ml Blut in der Minute. Man kann sich vorstellen, dass man, wenn es diese Filterfunktion nicht gäbe, schnell verbluten würde.

Ist Blut im Urin ein Notfall?

Das kann man so pauschal nicht beantworten. Grundsätzlich gilt, dass Blut im Urin immer abgeklärt werden sollte. Ob dies notfallmäßig innerhalb weniger Stunden erfolgen muss, ist abhängig von der Menge des Blutverlustes.

Sobald man Blut im Urin mit dem bloßen Auge wahrnehmen kann, sprechen wir von einer  Makrohämaturie. Je rötlicher der Urin ist, desto mehr Blut ist meist im Urin enthalten. Aber Vorsicht, bitte nicht gleich in Panik verfallen! Ab bereits einem Milliliter Blut pro Liter Urin ist der Urin schon rötlich gefärbt und somit eine Hämaturie für das Auge sichtbar. Bei stärkerer Rotfärbung und Kreislaufbeschwerden, empfehlen wir die notfallmäßige umgehende Vorstellung beim Urologen bzw. auch in einer urologischen Krankenhausabteilung. 

Manche Nahrungsmittel (z.B. Rote Beete, Heidelbeeren) oder Medikamente (z.B. Antibiotika) können zu einer vorübergehende Rotfärbung des Urins führen und damit eine Hämaturie vortäuschen.

Sind sehr kleine Mengen Blut im Urin, die eben beim Toilettengang nicht sichtbar sind und nur im Urinteststreifen (Urinstix) bei einer Screeninguntersuchung beim Hausarzt, Gynäkologen oder im Routinestix aus der Apotheke nachgewiesen wurden, sollte eine mikroskopische Urinuntersuchung erfolgen. Der Urin wird dafür zentrifugiert, so dass sich mögliche Zellen am Boden absetzen. Lassen sich in diesem Bodensatz dann mehr als 5 Erythrozyten pro Gesichtsfeld nachweisen, so spricht man von einer Mikrohämaturie. 

Was sind die Ursachen einer Hämaturie?

Die Ursachen sind vielfältig und bei jungen Patienten häufig harmlos. Bei weiblichen Patienten sind eine häufige Ursache Harnwegsinfekte (Blasenentzündungen), die allerdings meist mit Schmerzen und Brennen beim Wasserlassen und häufigem Harndrang einhergehen. Monats- oder Zwischenblutungen können eine Hämaturie vortäuschen. Blut im Urin findet sich auch nach Nierensteinabgang. Auch bei Dauerkatheterableitung findet sich häufig Blut im Urin.

Im höheren Alter können Tumore im Harntrakt, hauptsächlich von Blase und Prostata ausgehend, Ursache einer Makrohämaturie sein. Bei sichtbarem Blut im Urin ist deshalb vorrangig der Urologe gefragt. Es ist neben der bildgebenden Diagnostik mittels Ultraschall auch häufig der Blick in die Blase mittels Blasenspiegelung (Zystoskopie) erforderlich.

Findet der Urologe keine Blutungsquelle, überweist er dann häufig zum Nephrologen, denn bei den mikroskopisch nachgewiesenen Blutungen im Urin sind wir gefragt. Eine Mikrohämaturie kann ihren Ursprung nämlich sowohl in den unteren Harnwegen, als auch in den Nieren selbst haben. Eine Mikrohämaturie, die ihren Ursprung in der Niere hat, kann einerseits ein Symptom einer harmlosen Nierenerkrankung sein. Andererseits, in selteneren Fällen, kann sie auch Ausdruck einer schweren Nierenbeteiligung beispielsweise im Rahmen von Autoimmunerkrankungen oder Infekten sein, die unbehandelt in Wochen bis Monaten zum Verlust der Nierenfunktion bis hin zur Dialysepflichtigkeit führen kann.

Wie weist der  Nephrologe nach, ob die roten Blutkörperchen im Urin aus dem Nierenfilter stammen?

Ist der Urin-Streifentest positiv auf Blut ausgefallen, wird der Nephrologe Ihren Urin unter dem Mikroskop genauestens auf rote Blutkörperchen (Erythrozyten) und andere Zellen (weiße Blutkörperchen, Körperzellen aus den Harnwegen) und Strukturen (Bakterien, Kristalle) untersuchen. Hier gibt die Form der Erythrozyten Aufschluss darüber, ob diese aus dem Nierenfilter stammen. Normale Erythrozyten haben unter dem Mikroskop die Form eines ausgezogenen Krapfens oder in Franken besser als „Knieküchle“ bekannt. 

Der Nephrologe sucht dann nach sog. Akanthozyten. Das sind Erythrozyten, die Ausbuchtungen wie Micky-Maus-Ohren aufweisen. Man stellt sich das so vor, dass die Erythrozyten beim Durchtritt durch den Nierenfilter gequetscht werden und diese Gewalteinwirkung Ausbuchtungen hinterlässt. Sind viele dieser Akanthozyten im Urin nachweisbar, ist das ein Zeichen einer schweren (meist hochakuten) Nierenentzündung, man spricht von einer Glomerulonephritis. Diese kann beispielsweise im Rahmen von Autoimmunerkrankungen (z.B. bei einer Vaskulitis) oder Infekten auftreten. 

Der Nephrologe wird sich in der Regel durch eingehende Befragung, körperliche Untersuchung und weiterführende Speziallaboruntersuchung Ihres Blutes ein Gesamtbild über Ihre Nierenfunktion verschaffen. Bei Nachweis von Akanthozyten ist häufig eine Nierenbiopsie notwendig, also eine Gewebeentnahme und feingewebliche Untersuchung zur genauen Klärung der Diagnose und Planung einer Therapie.

Was bemerkt der Patient bei einer Glomerulonephritis?

Leider meistens gar nichts. Selbst die Nierenwerte können noch im Normbereich sein. Manchmal stehen Hautauffälligkeiten oder Infekte im Zusammenhang mit einer Glomerulonephritis. Manche bemerken schäumenden Urin auf Grund einer erhöhten Eiweißausscheidung.

Viele rheumatologische Erkrankungen, wie z.B. der Systemische Lupus Erythematodes können eine Mikrohämaturie mit Glomerulonephritis verursachen. 

Typischerweise tritt bei einer Mikrohämaturie bei Vorliegen einer Glomerulonephritis plötzlich Bluthochdruck auf.

Sind die Nieren dann noch zu retten? 

Häufig ja! Je früher die Diagnose feingeweblich ermittelt wird und je niedriger die Nierenwerte zum Zeitpunkt der Diagnosestellung sind, desto erfolgreicher kann zielgerichtet behandelt werden. Zur Behandlung werden immunmodulatorisch wirkende Medikamente, wie Cortison, Chemotherapeutika oder auch Antikörper, die spezifisch auf Zellen des Immunsystems einwirken, verabreicht.

Zusammenfassend ist die Mikrohämaturie ein Notfall, der innerhalb weniger Tage bzw. Wochen dem Nephrologen vorgestellt werden sollte, um eine manifeste Glomerulonephritis auszuschließen bzw. rechtzeitig zu behandeln.